Kommt es im Rahmen einer Segelregatta zu einer schadensverursachenden Kollision zwischen teilnehmenden Booten, stellt sich die Frage, ob sich der Geschädigte beim Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung schadlos halten kann. Diese Frage wird bei einigen Lesern womöglich auf Unverständnis stoßen bzw. mit einem klaren „Ja“ beantwortet werden. In der Rechtsprechung ist diese Rechtsfrage indes umstritten.
Ausgangspunkt der unterschiedlichen Rechtsauffassungen ist die vom Bundesgerichtshof ergangene Rechtsprechung zur Haftung bei Autorennen (BGH, Urteil vom 01.04.2003 – VI ZR 312/02). Bei sportlichen Wettbewerben mit nicht unerheblichem Gefahrenpotenzial, bei denen typischerweise auch bei Einhaltung der Wettbewerbsregeln oder geringfügiger Regelverletzung die Gefahr gegenseitiger Schadenszufügung besteht, ist die Inanspruchnahme des schädigenden Wettbewerbers für solche Schäden eines Mitbewerbers ausgeschlossen, die er ohne gewichtige Regelverletzung verursacht. Die Haftung des Schadensverursachers für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit bleibt hiervon unberührt, der Bundesgerichtshof hatte ausschließlich Unfälle vor Augen, die trotz Einhaltung der einschlägigen Regeln oder infolge geringfügiger Regelverletzungen eintreten. Der Bundesgerichtshof begründete bei diesen Fallkonstellationen die Annahme einer stillschweigenden Haftungsbeschränkung damit, dass es „einen treuwidrigen Selbstwiderspruch darstelle, wenn der Geschädigte den Schädiger in Anspruch nehme, obschon er ebenso gut in die Lage hätte kommen können, in der sich nun der Geschädigte befinde, sich dann aber (und mit Recht) dagegen gewehrt haben würde, diesem trotz Einhaltens der Spielregeln Ersatz leisten zu müssen.“
Oberlandesgericht Karlsruhe: Haftungsausschluss bei Regatten
Das Oberlandesgericht Karlsruhe wendete diese vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Haftungsbeschränkung bei Wettfahrten in einer Entscheidung aus dem Jahr 2004 auch auf Segelregatten an (OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.03.2004 – 23 U 6/03). Segelregatten gelten, so das Oberlandesgericht, allgemein als Wettkämpfe mit nicht unerheblichem Gefahrenpotenzial, bei denen typischerweise auch bei Einhaltung der Regeln oder geringfügiger Regelverletzung die Gefahr gegenseitiger Schadenszufügung in Gestalt der Kollision von Booten besteht. Den Eignern und Skippern, die an einer Segelregatta teilnehmen, seien die damit verbundenen, erheblichen Risiken für die eingesetzten Fahrzeuge im Großen und Ganzen bekannt. Sie würden diese aber wegen des sportlichen Vergnügens, der Spannung oder auch der Freude an der Gefahr in Kauf nehmen. Jeder Teilnehmer des Wettkampfs dürfe daher darauf vertrauen, nicht wegen solcher einem Mitbewerber zugefügten Schäden in Anspruch genommen zu werden, die er ohne nennenswerte Regelverletzung auf Grund der typischen Risikolagen des Wettbewerbs verursacht. Dies gelte unabhängig davon, ob Versicherungsschutz besteht oder nicht.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe wurde in der juristischen Literatur heftig kritisiert. Insbesondere die Feststellung, dass der Haftungsausschluss auch bei bestehendem Versicherungsschutz greifen solle, stieß auf Widerspruch. Ausgangspunkt für den vom Bundesgerichtshof angenommenen, stillschweigenden Haftungsausschluss sei das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens als konkrete Ausgestaltung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Den Interessen und dem Verhalten der Betroffenen müsse hierbei maßgebliche Bedeutung zukommen, da die Annahme eines Haftungsausschlusses ansonsten zur wirklichkeitsfremden Fiktion zugunsten der Haftpflichtversicherung werde. Richtigerweise wurde in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass nach den Teilnahmebestimmungen jeder Regattateilnehmer zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung verpflichtet sei (vgl. auch Ziffer 21 der Musterausschreibung des Deutschen Segler-Verbands). Kehrseite dieser Verpflichtung sei die berechtigte Erwartung, dass auch die anderen Regattateilnehmer entsprechenden Versicherungsschutz durch Haftpflichtversicherungen vorhalten und Schadensfälle über diese reguliert werden können. Platz für einen stillschweigenden Haftungsausschluss bestehe daher nicht. Zudem ergibt sich aus dem Zusatz zu Regel 67 der Wettfahrtregeln, dass mit der Teilnahme an Segelregatten kein Haftungsausschluss verbunden ist.
Oberlandesgericht Nürnberg: Kein Haftungsausschluss
Im Gegensatz zum Oberlandesgericht Karlsruhe lehnte das Oberlandesgericht Nürnberg eine Übertragbarkeit der vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze auf Segelwettfahrten ab (OLG Nürnberg, Urteil vom 28.06.2004 – 8 U 202/03 BSch). Der Segelsport, auch wenn er wettkampfmäßig in Form einer Regatta betrieben wird, sei mit den Wettkampfarten, die bislang Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung waren, nicht vergleichbar. Bei Einhaltung der Regattaregeln und Beachtung der allgemein erforderlichen Sorgfalt eines Segelbootsführers seien Kollisionen durchaus vermeidbar. Die Wettkampfregeln beinhalten eindeutige Ausweichregeln; der Ausweichpflichtige habe es in der Hand, dem Konkurrenten genügend Raum zu geben, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Dazu müsse er auch nicht -wie bei vielen Wettkampfarten- in Sekundenbruchteilen Entscheidungen treffen. In Anbetracht dieser Ausgangslage sei keine Haftungsfreistellung der Regattateilnehmer untereinander angezeigt. Das Oberlandesgericht Nürnberg schloss sich damit der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Hamm an, welches bereits im Jahr 1990 eine Anwendbarkeit der Rechtsprechung zur Haftungsfreistellung auf Segelregatten abgelehnt hatte (OLG Hamm, Urteil vom 16.01.1990 – 7 U 110/89 BSch).
BGH: Kein Haftungsausschluss bei bestehendem Versicherungsschutz
Ob die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftungserleichterungen bei Wettfahrten auf Segelregatten anwendbar ist, ist also nicht abschließend geklärt. In einem wichtigen Punkt hat der Bundesgerichtshof allerdings in Zwischenzeit für Klarheit gesorgt. Der Grundsatz, dass bei sportlichen Wettbewerben mit nicht unerheblichem Gefahrenpotenzial die Inanspruchnahme des schädigenden Wettbewerbers für ohne gewichtige Regelverletzung verursachte Schäden ausgeschlossen ist, gilt nicht, soweit Versicherungsschutz besteht (BGH, Urteil vom 29.01.2008 – VI ZR 98/07). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könne weder von einem konkludenten Haftungsausschluss ausgegangen noch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen als treuwidrig angesehen werden, wenn für die aufgrund des besonderen Gefahrenpotentials der Veranstaltung zu erwartenden bzw. eintretenden Schäden für die Teilnehmer Versicherungsschutz besteht. Das Bestehen eines Haftpflichtversicherungsschutzes für den Schädiger spreche gegen eine stillschweigende Haftungsbeschränkung, zudem entspräche es auch nicht dem Willen der Beteiligten, den Haftpflichtversicherer zu entlasten. Mit dieser Entscheidung dürften die rechtlichen Unklarheiten für die meisten Unfallkonstellationen ausgeräumt sein.
Fazit
Der Schadensverursacher haftet für vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachte Schäden. Tritt der Unfall im Rahmen einer Segelregatta trotz Einhaltung der einschlägigen Regeln oder infolge geringfügiger Regelverletzungen ein, ist eine Haftung des Schadensverursachers jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, soweit Versicherungsschutz besteht.